Evaluation des Modellprojekts „Housing First Bremen“

2 Bremen
  • Ort: Bremen
  • Erscheinungsjahr: 2024
  • Dokumentenart: Evaluationsbericht
  • Kategorien: best practices / lessons learned / Erfolge, Herausforderungen / Schwierigkeiten / Bedarfe, Wirkung: Gesundheit & Wohlbefinden, Wirkung: Kosteneffizienz, Wirkung: Soziale Integration, Wirkung: Veränderung Lebensqualität, Wirkung: Wiedereingliederung, Erwerbsarbeit & Materielle Situation, Wirkung: Wohnstabilität, Wirkung: Zufriedenheit

Die Evaluationsstudie zum Modellprojekt „Housing First Bremen“ [zur Studie] wurde im Rahmen einer formativen wissenschaftlichen Begleitforschung Ende 2021 bis Ende 2023 von Prof. Dr. Busch-Geertsema (GISS) und Axel Steffen (GISS) durchgeführt. Auftraggeber der Studie ist die Housing First Bremen gUG. Das Housing First Angebot selbst wird von der Wohnungshilfe Bremen e.V. und Hoppenbank e.V. betrieben [zur Website des Angebots]. Ziel der Evaluation war es, das Angebot wissenschaftlich fundiert weiterzuentwickeln. Dafür wurden verschiedene methodische Ansätze kombiniert: Standardisierte Fragebögen, z.B. zu Soziodemographie, Hilfebedarfen, Wünschen sowie wohnungsbezogenen Merkmalen wie Größe, Preis, Lage und Ausstattung (S. 13); monatliche Verlaufsdokumentation durch Mitarbeitende, in der Art, Dauer und Inhalte der Kontakte dokumentiert wurden; Selbst- als auch Fremdeinschätzungsbögen zur Einschätzung der Veränderung der Lebenslage der Teilnehmenden (siehe Anhang des Berichts); Einzel- und Gruppeninterviews für Einblicke in den Zugang zum Angebot sowie den bestehenden Unterstützungsbedarf; sowie letztendlich Interviews mit Wohnungsunternehmen, um deren Perspektive in die Untersuchung einzubeziehen (S. 13 f.).

Die Kernergebnisse der Evaluationsstudie werden nachfolgend themenspezifisch zusammengefasst.

Inhaltsverzeichnis Kernpunkte

best practices / lessons learned / Erfolge

Das Housing First Bremen-Projekt konnte trotz Herausforderungen bedeutende Erfolge verzeichnen. Besonders positiv war die Ansprache potenzieller Teilnehmender durch Peer-Personal, was die Zugangshürden senkte. Die Kooperation mit örtlichen Wohnungsunternehmen und der Ankauf von Wohnungsbelegrechten durch die Stadtgemeinde Bremen erleichterten die Wohnraumvermittlung. Aufnahmegespräche fanden bewusst an öffentlichen Orten wie Cafés oder auf der Straße statt, um die Hemmschwelle niedrig zu halten. Die Erhebung der individuellen Präferenzen und Bedürfnisse der Teilnehmenden vor der Wohnungssuche stellte einen weiteren Erfolgsfaktor dar. Nach den ersten drei Projektjahren verlagerte sich der Fokus auf institutionelle Wohnungsgeber, die vom Projektteam als professioneller wahrgenommen wurden. Dies sollte die Integration der Teilnehmenden in anonyme Mehrparteienhäuser erleichtern. Das Evaluationsteam merkte jedoch an, dass diese Ausrichtung möglicherweise hinderlich sei, da sie den Zugang zu überwiegend privatem Wohnraum einschränken könnte. Die geplante Vermittlung in Wohnungen innerhalb von sechs Wochen nach Projektaufnahme verzögerte sich durchschnittlich auf 2,5 Monate, was auf vielfältige Gründe zurückzuführen war. Dennoch wurde die konzeptionelle Zielgruppe laut Aussagen von Fachdienstmitarbeitenden und Kooperationspartnern erfolgreich erreicht. Aktuell werden Detailfragen zur Überführung des Housing-First-Ansatzes in die Regelfinanzierung geprüft, wobei eine Verortung der Maßnahme im SGB XII ab 2025 vorgesehen ist.

Herausforderungen / Schwierigkeiten / Bedarfe

Das Housing First Bremen-Projekt stand vor mehreren Herausforderungen. Die Nachfrage nach dem Angebot überstieg die vorhandenen Kapazitäten deutlich, was den Einsatz von Auswahlkriterien notwendig machte. Personen, denen eine bedarfsgerechte Versorgung durch das übrige Hilfesystem zugetraut wurde oder die weniger als ein Jahr wohnungslos waren, konnten nicht aufgenommen werden. Eine Abgrenzung zu anderen Hilfesystemen war erforderlich, wodurch der Zugang für von Wohnungslosigkeit bedrohte Patientinnen aus psychiatrischen Einrichtungen nicht möglich war. Zudem waren einige Interessentinnen nach dem Erstgespräch nicht mehr auffindbar oder empfanden das Aufnahmeverfahren als nicht niedrigschwellig genug. Dies führte teilweise zur Ablehnung unzuverlässiger Teilnehmender, was vom Evaluationsteam jedoch als Hinweis auf die Zugehörigkeit zur Zielgruppe interpretiert wurde. Die Diskussion um die Identifikation "eindeutiger Fälle" verdeutlichte den dringenden Bedarf an zusätzlichen Kapazitäten. Unklar blieb, wie mit aggressivem Verhalten umzugehen sei. Politische und verwalterische Forderungen nach einer zweijährigen Betreuungszeit widersprachen den Housing-First-Prinzipien und der praktischen Erfahrung des Teams. Zudem fehlte ein Konzept zur Überführung der Teilnehmenden in das Regelsystem. Der Unterstützungsbedarf der Teilnehmenden blieb hoch, insbesondere bei fortbestehenden Sucht- und psychischen Erkrankungen. Eine Reduzierung der Ressourcen zur Wohnungsakquise durch die senatorische Behörde erschwerte die Arbeit zusätzlich. Die geplante Erhöhung der Teilnehmendenzahl auf 60 Personen scheiterte an fehlendem Personal. Der Personalschlüssel lag bei 1:11, wodurch eine intensive Begleitung nicht immer gewährleistet werden konnte.

Wirkung: Gesundheit & Wohlbefinden

Teilweise wurde der Substanzkonsum auch nach dem Einzug in die Wohnung fortgeführt (S. 40, 20-21). Der Umgang mit Alkohol wurde kurz nach dem Wohnungsbezug in der Selbsteinschätzung leicht negativer bewertet, was auf eine gestiegene Selbsterwartung zurückgeführt wird (S. 45). Die durchschnittliche Selbsteinschätzung des körperlichen Gesundheitszustands verbesserte sich nach 6–12 Monaten leicht (Abb. 4, S. 48). Die Kooperation mit Fachärzten für Psychiatrie ermöglichte Behandlungsprozesse und Entgiftungen (S. 48). Zwei Personen verstarben infolge massiven Substanzkonsums (S. 21).

Wirkung: Kosteneffizienz

Mit Ausnahme von sechs Wohnungen lagen die Mietpreise unter den Richtwerten der Unterkunftskosten nach SGB II und XII in Bremen. In diesen sechs Fällen wurde die zulässige Überschreitung der Richtwerte um 10 % angewendet, um Personengruppen mit besonderen Akzeptanzproblemen auf dem Wohnungsmarkt, wie drogenabhängige Menschen oder ehemals Inhaftierte, zu unterstützen (S. 23).

Wirkung: Soziale Integration

Das Einleben in der neuen Wohnung stellte eine Herausforderung dar, insbesondere durch das anfängliche Alleinsein (S. 40). In 11 von 25 dokumentierten Wohnverhältnissen gab es Beschwerden von Nachbarn oder Hausverwaltungen, z.B. wegen Ruhestörungen (S. 42). Mindestens zwei Personen fühlten sich aufgrund ihrer früheren Wohnungslosigkeit diskriminiert (S. 42). Der Aufbau neuer sozialer Kontakte war schwierig, insbesondere nach einem Umzug in einen neuen Stadtteil. Gemeinsame Veranstaltungen wurden unterschiedlich angenommen. Einige Teilnehmende suchten nach dem Einzug den Kontakt zu Familie, insbesondere zu ihren Kindern (S. 49).

Wirkung: Veränderung Lebensqualität

Die Wohnungsbereitstellung im Rahmen des Housing First-Programms führte zur Erfüllung grundlegender Bedürfnisse der Teilnehmenden, insbesondere in den Bereichen Sicherheit, Privatsphäre, Körperhygiene und Selbstbestimmung (S. 41). Unmittelbar nach dem Einzug nahmen sowohl die Teilnehmenden (n=17) als auch die Mitarbeitenden in nahezu allen Lebensbereichen eine leichte Verbesserung wahr. Dazu zählen Gesundheit, Wohlbefinden und soziale Kontakte (vgl. S. 45). Nach 6–12 Monaten zeigte sich eine deutliche Verbesserung in der Selbst- und Fremdwahrnehmung hinsichtlich der Lage und Ausstattung des Schlafplatzes (Abb. 2, S. 46). Ebenso wurde das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit am Schlafplatz signifikant gesteigert, was in beiden Einschätzungen vom negativen in den positiven Bereich überging.

Wirkung: Wiedereingliederung, Erwerbsarbeit & Materielle Situation auswählen

Die materielle Situation der Teilnehmenden stellte eine besondere Herausforderung dar. Nach dem Wohnungsbezug mussten sie mit einem geringeren Budget auskommen, bedingt durch zusätzliche Energiekosten und den Wegfall von Unterstützungsangeboten für Wohnungslose, wie z.B. Essensausgaben (S. 40). Die Arbeits- und Ausbildungssituation wurde sowohl kurz nach dem Einzug als auch 6–12 Monate später in Selbst- und Fremdeinschätzungen überwiegend negativ bewertet (S. 45). Die finanzielle Absicherung der Wohnsituation verbesserte sich jedoch nach 6–12 Monaten deutlich, was in Selbst- und Fremdeinschätzungen bestätigt wurde (Abb. 2, S. 46). Nahezu alle Teilnehmenden bezogen Transferleistungen nach SGB II oder XII (S. 47). Einige Teilnehmende griffen weiterhin auf alternative Einkommensquellen wie Betteln, Flaschensammeln, Prostitution oder Diebstahl zurück (S. 47). Elf Personen nahmen erfolgreich an Maßnahmen des Jobcenters oder der Eingliederungshilfe teil, während es anderen trotz des Wunsches nicht gelang, entsprechende Angebote wahrzunehmen (S. 47).

Wirkung: Wohnstabilität

Zum Stichtag 31.12.2023 nahmen 42 Personen am Housing First-Angebot teil, davon wurden an 33 Personen Wohnungen vermittelt (S. 18-19). Sieben Personen schieden aus dem Projekt aus, vier Teilnehmende verstarben. Zudem befanden sich weitere Personen auf der Warteliste (S. 20-21). Die längste Wohnzeit einer Teilnehmerin betrug etwa zwei Jahre. 24 Haushalte lebten seit zwölf oder mehr Monaten in ihren Wohnungen. Aufgrund der begrenzten Evaluationsdauer und der unterschiedlichen Zeitpunkte der Mietvertragsabschlüsse ist eine abschließende Bewertung der Wohnstabilität noch nicht möglich (S. 41, 44). In einem Fall wurde aufgrund baulicher Mängel eine neue Wohnung gesucht (S. 41). Drei Haushalten wurde die Wohnung gekündigt (S. 42): In einem Fall erfolgte ein Umzug, im zweiten eine psychiatrische Einweisung und im dritten der Ausschluss aus dem Projekt mit anschließendem Wiedereintritt in die Wohnungslosigkeit (S. 43). Dies entspricht einer Wohnungserhaltungsquote von 96 % bei 25 vermittelten Wohnungen (S. 44), wobei auch zwei Haushalte von Wohnungslosigkeit bedroht waren und ein Umzug stattfand.

Wirkung: Zufriedenheit

Teilnehmende konnten Wohnpräferenzen äußern, die in 11 Fällen teilweise oder vollständig erfüllt wurden (S. 25). Insgesamt äußerten sich die Teilnehmenden in Interviews zufrieden mit ihren Wohnungen (S. 25). Die Begleitung durch das Housing First-Team wurde als sehr positiv bewertet, insbesondere durch die gute Erreichbarkeit der Hilfen (S. 34).